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Die Vogelwelt Europas und ihre Verbreitung

C-Print, 10-teilig, je 40 x 50 cm

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Der Atlas „Die Vogelwelt“ aus dem Jahr 1962 zeigt in 420 Grafiken die Verbreitung der europäischen Vogelarten über alle Kontinente. Kawabe hat jeweils 42 grafische Darstellungen übereinandergelegt zur Gesamtschau der grenzüberfliegenden Vogelpopulationen.

Ausstellungen: Ermekeilkaserne, Bonn (DE) / Take Maracke & Partner, Kiel (DE)
Abbildung: Katalog “DELIKATELINIEN”

Continent of Africa / Routes of Migratory

Papier, Nagel

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Photo: Kenichi Amano

Es existieren territoriale, geografische, biologische, gesellschaftliche, ökonomische, moralische, ästhetische Grenzen, Grenzen der Leistung und des Anstands. Die Hautdes Menschen ist eine existentielle Trennung zwischen Innen und Außen, Individuum und Welt, die Farbe der Haut ist selbst heute noch eine soziale Barriere.
Die Scherenschnitt-Serien aus farbigem Karton zeichnen in der Arbeit “Routes of Migratory” (2015) die Flugrouten der Zugvögel und in der Arbeit “Continent of Afrika” (2015) alle Grenzziehungen auf dem Kontinent nach. Die bunten Umrisse sind locker auf kleine Nadeln gehängt, sie können ausgetauscht, entfernt und ersetzt werden, sie sind fragil und provisorisch, sind gefährdet und eben veränderbar.
Es fällt auf, dass die Flugrouten der Vögel bei ihren jährlichen Wanderungen von Afrika nach Europa und zurück fließende, runde und spielerisch leichte Linien ziehen. Damit lässt sich Grenzenlosigkeit des Fliegens und beliebigen Fußfassens als Utopie assoziieren. Die harmonisch wirkenden Formen sind ein Gegenbild zu den häufig zackig und scharfkantig erscheinenden Staatsgrenzen auf dem südlichen Kontinent, deren willkürliche Ziehungen das politische Drama Afrikas dokumentieren

Photo: Kenichiro Amano

Ausstellungen: Ermkeilkaserne, Bonn (DE) / Frappant, Hamburg (DE) / Waitingroom, Tokio (JP) / VOLTA 14, Basel (CH)
Abbildung: Katalog “DELIKATELINIEN”

Der Weg II

C-Print, Acryllack, Kohle, Glas, 4-teilig, je 30 x 40 cm

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Photo: Kenichi Amano

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Photo: Kenichi Amano

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Photo: Kenichi Amano

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Photo: Kenichi Amano

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Ausstellung: Waitingroom, Tokyo (JP)

Sachiko Shoji: Text aus dem Ausstellungskatalog “In Search of Critical Imagination”

Video kann beliebig viele Lügen erzählen. Und es kann auch unerwartet die Wahrheit einfangen. Wenn man dies versteht, wird der Grad der Unsicherheit in dem, was wir sehen, ebenso deutlich wie die Mehrdeutigkeit unserer Wahrnehmungen und Erinnerungen. Im Werk von Naho Kawabe, einer Künstlerin, die mit Videos zu arbeiten begonnen hat, haben wir manchmal das Gefühl, dass es keine Grenze zwischen Wahrheit und Lüge gibt.

In Kawabes Videoarbeit „Sugarhouse“ aus dem Jahr 2004 beispielsweise ist das erste, was wir sehen, ein vollständig weißer Bildschirm, der nichts zu enthalten scheint. Aber nachdem rotes Wasser in den Raum gegossen wurde, werden die Formen, die tatsächlich da sind, allmählich deutlich. Gerade als wir beginnen, das Gesamtbild zu erfassen, löst sich ein Haus aus Zuckerwürfeln allmählich in dem roten Wasser auf. Laut Kawabe “ist es eine Art Vandalismus, etwas Unsichtbares in etwas Sichtbares zu verwandeln, und unser Blick ist mit der Gefahr behaftet, das Thema zu verändern”. Kawabe deutet hier die Gewalttätigkeit eines Blicks an, aber wenn wir uns überlegen, warum die Dinge, die zusammengebrochen sind, überhaupt da waren, erkennen wir, dass das Werk auch das japanische Familiensystem in Frage stellt. „Wash Your Blues“ (2007) ist eine vierminütige Videoarbeit, die das stereotypem Tierverhalten eines Eisbären im Zoo zeigt. . In Anlehnung an das Schlagwort für das amerikanische Antidepressivum Prozac, “Wash Your Blues Away”, zeigt die Arbeit den Bären in ständiger Auf- und Abwärtsbewegung, während die umgebende Wasserlache allmählich von blau nach weiß gebleicht wird. Für den Bären könnte die Szene einer liebevoll erinnerten Landschaft ähneln. Während die Arbeit die dunkle Seite einer lebenslangen Bildungseinrichtung wie eines Zoos suggeriert, könnte die Welt, wenn wir uns in die Lage des Bären versetzen, einerseits blendend erscheinen, nachdem der Blues (die Depression) verschwunden ist, andererseits aber auch leer und eintönig erscheinen.

Kawabes Werke enthalten einen Mechanismus, der unsere Sehkraft und unser Gedächtnis stört. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Falle, die uns verwirrt, sondern um etwas, das notwendig ist, um uns zu konfrontieren und uns die geschäftigen Empfindungen wahrnehmen zu lassen, die sich im gewöhnlichen Leben verbergen. Kawabe hat diesen Trick während ihrer gesamten Karriere in ihren Videos, Installationen und Kunstobjekten gekonnt eingesetzt. Zum Beispiel in der Installation „Cosmic But Unfair #2“, die 2011 in der Shiseido Gallery gezeigt wird, führt ein Gerät, das unsere Augen täuscht, dazu, dass wir uns zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren hin und her bewegen. Der Ansatz ist in beiden Werken Kawabes mit und ohne Lichtquelle derselbe. Für das 2012 entstandene Werk We Are the Strangers! schnitt die Künstlerin zahlreiche Erwähnungen des Ich-Personen-Pronomens “I” aus einer englischen Ausgabe von Albert Camus’ Roman Der Fremde aus und verband sie mit einem Faden miteinander. Losgelöst vom Kontext schweben alle diese “Ichs” frei. Obwohl sich die meisten von ihnen wahrscheinlich auf den Protagonisten des Romans, Meursault, beziehen, regen sie uns an, über das “Ich” und das “Wir” nachzudenken, während sie sich auf die Gesellschaft mit ihren gelegentlich wechselnden Aspekten beziehen.

„Optiker“, der im Gussbetonlager des Museums ausgestellt ist, entwickelte sich aus Kawabes Einsatz von Kugeln, der 2011 begann. Die kleinen hängenden Kugeln werden mit zwei Scheinwerfern in verschiedenen Farben beleuchtet. Die Kugeln erinnern an Wolken, Atomstrukturen, Himmelskörper im Raum oder vielleicht sogar an Menschen, und aus nur einer Richtung sehen ihre Schatten wie Buchstaben aus, die an die Wand projiziert werden. Die Neige des Menschen bezieht sich auf einen Satz aus Walter Benjamins Einbahnstraße, in dem der Schriftsteller die Blicke mit menschlichen Überresten vergleicht. Dies deutet sowohl auf unsere eigene Erfahrung beim Betrachten des Werkes als auch auf eine zynische Sicht des menschlichen Blicks hin, der niemals neutral sein kann, wenn es darum geht, Buchstaben zu erfassen oder Schatten wahrzunehmen. Selbst wenn eine Person eine Sprache sieht, die sie nicht kennt, kann sie die Punktfolge als Schrift identifizieren. Dies wirft die Frage auf, was das Schreiben vom Nichtschreiben unterscheidet. Obwohl unsichtbar, erkennen wir die Existenz dieser “Grenze” oder “Linie”, die von sich aus existiert. Kawabe drehte ihre einzige Videoarbeit in dieser Ausstellung, „Pendule des Pyrénées (Pendel der Pyrenäen)“, indem sie ihre Kamera in der Nähe der Grenze zwischen den spanischen und französischen Pyrenäen aufstellte, den Bergen, die Benjamin zu besteigen versuchte, um am Ende seines Lebens die Grenze nach Spanien zu überqueren. Obwohl es keine sichtbare Trennung oder Veränderung der Landschaft zwischen den beiden Ländern gibt, hatte die Linie die Macht, Menschen zu behindern und ihr Leben völlig zu verändern. Andere Werke wie “Horizon Never Lurches”, das der Form eines Spitzenvorhangs nachempfunden ist und mit zerstoßenem Kohlestaub hergestellt wurde, und “Flowers and Borders” werfen ebenfalls Fragen zu Grenzlinien auf.

Schließlich ist “Expurgation” ein Werk, das sich aus Seiten zusammensetzt, die aus verschiedenen Büchern entfernt wurden und in denen Buchstaben und Diagramme mit Isolierband überklebt sind. Angesichts der jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bedrohung durch verborgene Informationen, die wie ein Rückfall in eine frühere Ära erscheint, verwendet Kawabe eine physikalische Technik, um zu fragen, warum Schrift, die existieren sollte, unsichtbar geworden ist. Das dünne Papier unter der Schrift, das in Metall versiegelt ist, erzeugt ein zusätzliches Gefühl von Gewicht und Vorzeichen. Im starken Licht hell leuchtend, durchdringt das Werk unsere Augen und fragt, was wir sehen können und was nicht, und wer wir sind.

in: In Search of Critical Imagination, Fukuoka Art Museum, 2014

Expurgation

Buchseite, Zink

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Photo: Kenichiro Amano

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Photo: Kenichiro Amano

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Photo: Kenichiro Amano

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Photo: Stefan Canham

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Photo: Stefan Canham

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Ausstellungen: Fukuoka Art Museum, (JP) / Frappant, Hamburg (DE) / Port Gallery T, Osaka (JP) / VOLTA 14, Basel (CH) / Waitingroom, Tokio (JP)
Abbildung: Katalog “IN SEARCH OF CRITICAL IMAGINATION”

Optiker

Metall, Plastik, Spiegel, Pappe, Glas, Holz, Motor, LED, Größe variabe

Im Raum schwebt ein Schwarm von Kugeln unterschiedlicher Größe, Farbe und Material. Über 200 Kugeln aus stumpfem Blei, spiegelndem Glas, buntem Plastik hängen gleichsam an unsichtbaren Fäden von der Decke und werden von einer sich bewegenden Lichtquelle angestrahlt. Auf den ersten Blick bilden die Kugeln eine spielerisch unstrukturierte Wolke, die sich durch Luftzug leicht bewegt. Der bunte Schwarm wird durch ein Spotlight, das, mit einem Moter betrieben, holizontal wie ein Suchlicht im Raum hin- und her schwenkt, angeleuchtet, so dass sich die Schatten der Kugeln an der Wand abbilden. Sie formen ein Satz, der ebenfalls ein wenig in Bewegung ist. Die Schatten der Kugeln schreiben ein Zitat von Walter Benjamin, “Optiker”, aus Einbahnstraße (1928): Die Neige des Menschen.

Dokument der Installation “Optiker” 2014 im Fukuoka Art Museum, Japan, 1′ 09

Ausstellung: Fukuoka Art Museum, (JP)
Abbildung: Katalog “IN SEARCH OF CRITICAL IMAGINATION”

Ludwig Seyfarth: Wie Blätter im Wind. Die Ruinen im Werk von Naho Kawabe

(…)

Die letzte große Naturkatastrophe in Japan war bekanntlich ein Tsunami, dem auch ein Atomkraftwerk nicht standhalten konnte. Im März 2012 fotografierte Naho Kawabe viele beschädigte oder weitgehend zerstörte Einzelhäuser in der vom Tsunami betroffenen Präfektur Miyagi. Wüsste man nicht, wie die Gebäude in diesen Zustand geraten sind, würde man, anders als die klassischen Ruinenbetrachter, sofort danach fragen. Und genauso danach, was mit ihnen geschehen wird: Werden diese Häuser wieder instandgesetzt oder abgerissen und durch neue ersetzt werden? Die Fotos dienten der Vorbereitung eines im September 2012 in Miyagi gedrehten Videofilms, bei dem die Kamera aus dem Auto heraus langsam und gleichmäßig die Reste einer fast vollständig zerstörten kleinen Hafenstadt einfängt. Nur noch einzelne Häuser stehen, die Reste anderer sind schon vollständig weggeräumt worden. Auf den Brachflächen dazwischen, auf denen die Fotografien nur Staub, Sand und herumliegenden Müll zeigten, sind einige Monate später schon zahlreiche sprießende Pflanzen sichtbar. Wasser dringt von unten an die Erdoberfläche durch. Die Natur holt sich das freigewordene Terrain zurück.

Naho Kawabe interessiert sich für die teilweise unscheinbaren Prozesse, langsamen Veränderungen, die in einem sowohl physischen wie auch zeitlichen Kontrast zur massiven Wucht der Katastrophe stehen. Und Kawabe fängt ein, was in wenigen Jahren vielleicht völlig verschwunden sein wird. Auch was die Gebäude betrifft, richtet sie den Blick nicht auf repräsentative und Monumentalbauten, sondern auf schlichte Ein- und Mehrfamilienhäuser. Eine Leere, die völlig neu bebaut werden kann, ist stets eine Faszination für viele Architekten. (…)

Aber eine Neubebauung kann auch so aussehen, dass von der Vergangenheit nichts mehr erkennbar übrig bleibt. 2008, als man den 50. Jahrestag seiner Neuerrichtung feierte, besuchte Naho Kawabe den französischen Badeort Royan, der im Zweiten Weltkrieg vollkommen zerstört worden war. Das wie ein Disneyland wirkende Ambiente Royans hatte Jacques Tati zu seinem Film „Mon Oncle“ (1958) inspiriert, einer Satire auf den architektonischen Modernismus und die Absurdität eines vollkommen durchtechnisierten Alltags. Die Wohnhäuser, Villen und Hotels, die Naho Kawabe in ihrer Fotoserie „The Palms of Royan“ ins Bild setzt, machen tatsächlich den Eindruck, als ob sie Teile einer gigantischen Filmkulisse wären. Die Abwesenheit von Menschen lässt zudem die Vermutung aufkommen, dass es sich nicht um Häuser in realer Größe, sondern um verkleinerte Modelle handelt. Darin liegt auch ein Bezug zu den Häusern aus Miyagi, die ebenfalls so fotografiert sind, dass wir allein aus der Betrachtung der Bilder kaum ausmachen können, ob sie echte Zerstörung zeigen oder nur das Modell einer Simulation von Tsunamischäden.

Naho Kawabe zeigt uns die Welt gleichsam in einem anderen Aggregatzustand: nicht in ihrer physischen Festigkeit, sondern im Transitorischen, Flüchtigen, was sich auch in der Vorliebe für Materialien wie zum Beispiel Kohlestaub ausdrückt. Die Ruine ist nicht nur Anlass für die Meditation über die Vergangenheit oder die Vergänglichkeit schlechthin, sondern Ausdruck des Transitorischen, des Überganges von einem Zustand in einen anderen. Sie ist nicht das Bleibende im ewigen Kreislauf des Vergehens, sondern selbst etwas Flüchtiges, das verschwinden wird. So realisiert Naho Kawabe das Motiv des Hauses und der Ruine auch immer wieder in ephemeren Materialien, so etwa auf einer 2006 entstandenen, panoramatischen Kohlezeichnung oder in dem kurzen Video „Sugarhouse“ von 2004. Hier löst sich das Haus innerhalb von vier Minuten auf.

Ist die klassische europäische Ruine eine Silhouette, die sich vor dem Himmel wie ein Mahnmal abhebt, so ist die Ruine, wie sie im Werk von Naho Kawabe erscheint, eine flüchtige Spur, ein kalligrafisches Zeichen, das kurzfristig erscheint und dann wieder verschwindet, fortgetragen wie Blätter im Wind.

in: Naho Kawabe. Observer Effect, Berlin 2013