Das Video zeigt sich ständig bewegende Lichtreflexe auf dem Wasser. Die Bewegungen sind synkronisiert mit Stimmen von in Hamburg lebenden Künstlerinnen, deren Herkunft nicht deutsch ist und die über ihre Situation als Fremde nachdenken. Das Video ist mit japanischen Untertiteln versehen, die in ihrer Fehlerhaftigkeit den Unzulänglichkeiten der Sprache der Künstlerinnen entspricht.
Text von Sachiko Shoji für Naho Kawabes Solo-Ausstellung In Other Words
An Bord der Apollo 11, die am 20. Juli 1969 erfolgreich auf dem Mond landete, befanden sich modernste Computer. Ein Problem, das es damals zu lösen galt, war die Frage, wie die enorm großen Daten und Programme auf ganz kleinem Raum gespeichert werden konnten. Was für diese Aufgabe eingesetzt wurde, war das “Core-Rope-Memory” – eine Technologie, bei der Informationen durch Drahtfäden und durch Magnetisierung winziger, donutförmiger Materialstücke, sogenannte Kerne, gespeichert werden. Dieses Kerndrahtgedächtnis wurde von weiblichen Fabrikarbeiterinnen per Hand mit Nähnadeln gewebt.
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… Sie wickelten sorgfältig Drähte um kleine elektromagnetische Ferritkerne, einen nach dem anderen, was es dem Kerndrahtspeicher auch ermöglichte, Programmdaten sicher aufzuzeichnen. Die Person, die die Computer der Apollo-Mission programmierte, war die junge Wissenschaftlerin Margret Hamilton, die auf einem von Männern dominierten Gebiet arbeitet und auch als “Rope-Mother” bekannt ist.
Seit Apollo 17, die 1972 gestartet wurde, hat der Mensch keinen Fuß mehr auf den Mond gesetzt. Objekte, die von früheren Astronauten weggeworfen wurden, liegen noch immer dort. Es gibt jedoch noch etwas auf dem Mond, das nicht von der NASA zurückgelassen wurde, etwas “Geschmuggeltes”. Dies ist das „Mondmuseum“ (1962), ein 1,3 x 1,9 cm großer Keramiksockel, auf dem die Zeichnungen von sechs Künstlern (Andy Warhol, Claes Oldenburg, David Novros, Forrest Myers, Robert Rauschenberg und John Chamberlain) eingeritzt sind. Forrest Myers, der unbedingt ein Kunstwerk auf dem Mond platzieren wollte, überredete letztlich seine Künstlerkollegen, an diesem winzigen Projekt teilzunehmen. Das Objekt wurde durch das Kontrollnetz der NASA geschmuggelt, am Bein der Mondlandefähre befestigt und auf der Oberfläche des Mondes abgesetzt. Dies ist wirklich eine erstaunliche Geschichte, ob sie allerdings wahr ist, kann bis heute nicht überprüft werden.
Wenden wir uns nun dieser großen Installationen Naho Kawabe zu, die vollständig aus neuen Werken besteht und die uns im Ausstellungsraum dieser Galerie begegnet. Ein Seil, das 1/300.000.000.000 der Länge der Entfernung zwischen Erde und Mond entspricht, hängt derart, dass es den Raum ausschneiden würde. So nimmt es die Form einer schrägen Oberfläche an. Die vielen schwarzen Objekte, die an dem Seil baumeln, basieren auf den damaligen Zeichnungen zum “Mondmuseums” und wurden von der Künstlerin per Hand gestrickt. Durch diese Art der Handarbeit wird man von dem Eindruck gefangen genommen, Teil eines mechanisierten Produktionsprozesses zu werden, und dies wiederum kann als ein Nachvollzug der Aktivitäten der Fabrikarbeiterinnen verstanden werden, die das Kernstück des Drahtspeichers von Apollo 11 webten.
Naho Kawabe lebt und arbeitet sowohl in Japan als auch in Deutschland, “Grenzen” und “Bewegung/Migration” sind zwei Dinge, die untrennbar mit ihrem Leben und ihrer Kunst verbunden sind. Tatsächlich kann die Mondlandung, die vor rund 50 Jahren stattfand und in die Annalen der Menschheitsgeschichte eingeschrieben ist, auch als die große Beziehung zwischen Erde und Mond betrachtet werden. Vergleichbare Anliegen im Zusammenhang mit der Arbeit von Frauen, wie sie in der Apollo-Mission stattfanden, durchziehen noch immer die moderne Gesellschaft. Verschiedene historische Fakten und Fiktionen sind in Kawabes Werk eingeflochten worden, die feste Formen haben, sich verwandeln, auflösen und sogar neu geschaffen werden. Der Titel dieser Ausstellung wurde von Kawabe gewählt mit Blick auf eine dahinter verborgene Geschichte. Wir können den Titel jedoch auch als Hinweis lesen, wenn man ihrem Werk von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht: In other words …
Das am Boden ausgeschüttete Muster aus Kohlestaub zeigt die zackige Linie der Mauergrenze zwischen Ost- und Westberlin. Eine sich im Kreis drehende Feder, angetrieben von einem kleinen Motor, wischt den Kohlestaub weg. Der Kreis beschreibt idealtypisch die Fahrt der Berliner S-Bahn über die Grenze hinweg, so wie es in Berlin zwischen 1961 und 1989 tatsächlich gewesen war.
Das Video zeigt, wie die Hände einer älteren Frau 3 Kg Kohle-Bruchstücke zusammenbinden zu einem Paket, dessen Figuration einem Baum ähnlich ist. Während der Aktion erfährt der Betrachter in einem Selbstgespräch der Frau vieles über ihre persönliche Lage im Berlin der 1950/60er Jahre, das Verhältnis zur Mutter und die Situation im Kalten Krieg. Die Erzählerin flüchtete 1956 aus der DDR in den Westen. Die spezifische Art des Verpackens mit Schnüren hat die Erzählerin bei ihrer Mutter gelernt, als Pakete von West nach Ost geschickt wurden zur Zeit der zwei deutschen Staaten. Damals gab es kein Klebeband. Die Schnürtechnik und die besonderen Handbewegungen werden bald vergessen sein. „Eine echte Frau löst jeden Knoten“ – der Spruch stammt von der Schullehrerin der Erzählerin in Westdeutschland und forderte sie damals heraus durch den hohen Anspruch an die Tätigkeiten von Frauen in der Nachkriegszeit. Die japanischen Untertitel, die im Probevideo zu sehen sind, können gelöscht werden.
Ausstellungen: Waitingroom, Tokio (JP) / Boxes Museum, Guangzhou (CN)
– on going Acrylplatte, Kupferdraht, Schnur, Buchleim, Metall, alle „I“ (ich) – Worte aus den verschiedenen SF Roman
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Photo: Shintaro Yamanaka (Qsyum!)
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Core Rope Memory, auch bekannt als „LOL Memory“ (Little Old Lady Memory), war eine Form von ROM-Speicher (Read-Only Memory). Dieser Datenträger wurde in den 1960er-Jahren von Frauen in den Fertigungsstätten der NASA durch ein manuelles Webverfahren hergestellt. Er kam in den frühen Raumfahrtprogrammen der NASA zum Einsatz, insbesondere im Apollo-Leitcomputer.
LOL Memory – The ship who sang (2018)
Acrylglas, Kupferdraht, Schnur, Metall, alle „I“ (ich)-Worte aus dem Buch „The Ship Who Sang“ (Anne McCaffrey, 1969) 6-teilig, je 30 x 22 x 1 cm
Alle “I” (ich) – Worte aus dem Buch “The Ship Who Sang” (Anne McCaffrey, 1969)
Naho Kawabes Arbeit The ship who sang verbindet einen literarischen Stoff mit einem wenig beachteten, da weiblich konnotierten Teil der Technikgeschichte: Die zahlreichen i-s, die auf die Wandobjekte angebracht wurden, stammen aus der Science-Fiction-Romanreihe „The Ship Who Sang“ von Anne McCaffrey (1969). Die zarten Metallgeflechte auf den Acrylplatten hingegen beziehen sich auf die „LOL Memory“ (Little Old Lady Memory) – ein Begriff aus der Computergeschichte, der auf handgewebte Speicherstrukturen verweist, die in den 1960er Jahren von Frauen in der NASA-Fertigung für das Apollo- und Marsprogramm hergestellt wurden. Kupferdrähte wurden dabei in ein präzises Netz geflochten, das Informationen speicherte – eine frühe Form technischer Programmierung als manuelle Webpraxis. Die „Rope Mother“ Margaret Hamilton galt mit diesem Verfahren als eine der ersten Softwareingenieurinnen. Ihre Arbeit machte Raumfahrt von der Erde aus erst möglich.
Zur exakt gleichen Zeit schickte Anne McCaffrey die Protagonistin Helva ihrer Science-Fiction-Romane ins All: Das Gehirn der jungen Frau wird zur kybernetischen Steuerzentrale eines Raumschiffs. Helva ist nicht mehr eindeutig Frau noch Maschine – was also ist das I?Kawabe thematisiert die Gegensätze zwischen Fiktion und Realität: Während ein körperloses Gehirn zur Steuerzentrale wird, bleibt weibliche, körperliche Arbeit unsichtbar.
Bücher, aus den “I” herausgeschnitten: „The Ship Who Sang“ (Nanne McCaffery, 1969) „Love is the Plan The Plan is Death“ (James Tiptree Jr, 1973) „And I awoke and found me here on the cold hill’s side“ (James Tiptree Jr, 1972) „The Girl who was plugged in“ (James Tiptree Jr, 1974) „The Women men don’t see “ (James Tiptree Jr, 1973) „Houston, Houston, do you read?“ (James Tiptree Jr, 1976) „We who stole the dream“ (James Tiptree Jr, 1978) „And I awake and found me here on the cold hill’s side“ (James Tiptree Jr, 1972) „With delicate mad hands“ (James Tiptree Jr, 1981)